Ressourcenorientierte systemische Supervision
Ressourcenorientierte systemische Supervision: Die Kraft der Gruppe nutzen

Was ist ressourcenorientierte systemische Supervision?
Systemische Supervision basiert auf der Idee, dass Menschen und Organisationen Teil eines Systems sind, das durch die subjektiven Sichtweisen der Beteiligten definiert wird. Im Gegensatz zu traditionellen Ansätzen, die sich auf Probleme fokussieren, steht in der systemischen Supervision die Ressourcenorientierung im Vordergrund. Das bedeutet, dass die Erfahrungen, Fähigkeiten und Ideen der Teilnehmenden aktiv in den Supervisionsprozess einbezogen werden. Besonders in Gruppen – sei es ein Team oder eine Supervisionsgruppe – entsteht so eine Vielfalt an Blickwinkeln, die neue Perspektiven eröffnet.
Ein zentrales Prinzip ist der sogenannte Möglichkeitssinn: Statt zu fragen, was ist oder sein muss, wird überlegt, was sein könnte. Teilnehmende werden ermutigt, alternative Wirklichkeiten zu konstruieren und mit diesen zu experimentieren. Probleme oder Schwierigkeiten werden nicht als feste Gegebenheiten betrachtet, sondern als Konstruktionen, die aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und verändert werden können.
Die Rolle der Gruppe in der systemischen Supervision
In einer Gruppe bringt jede Person ihre eigenen Erfahrungen, Sichtweisen und Kompetenzen ein. Diese Vielfalt ist eine wertvolle Ressource, die in der systemischen Supervision gezielt genutzt wird. Statt die Supervision als reine Einzelbegleitung in der Gruppe zu gestalten, wird die gesamte Gruppe aktiv eingebunden. So entsteht ein kollektiver Reflexionsprozess, der reichhaltiger ist als die Summe seiner Teile.
Die Teilnehmenden werden ermutigt, ihre Gedanken und Ideen einzubringen – sei es durch Spekulationen, Kommentare oder kreative Methoden wie Rollenspiele und Skulpturen. Dabei steht nicht die Suche nach einer „richtigen“ Lösung im Vordergrund, sondern die Entwicklung multipler Perspektiven. Die Entscheidung, welche Ideen umgesetzt werden, liegt letztlich bei der Person, die ihr Anliegen einbringt – Autonomie und Selbstbestimmung bleiben gewahrt.
Methoden der ressourcenorientierten Supervision
Es gibt zahlreiche Methoden, um die Ressourcen der Gruppe zu erschließen und den Supervisionsprozess zu bereichern. Hier sind einige Ansätze, die in der Praxis häufig zum Einsatz kommen:
- Spekulieren und Hypothesen bilden: Die Gruppe entwickelt Hypothesen zu einem Anliegen, basierend auf wenigen Stichworten. Dies fördert Kreativität und eröffnet neue Sichtweisen, ohne sich in Details zu verlieren.
- Kurze Kommentare: Nach einem Vortrag teilen die Teilnehmenden spontane Assoziationen, Hypothesen oder Vorschläge – ohne Nachfragen, um die Vortragende nicht in eine Rechtfertigungsposition zu bringen.
- Interview und Kreuzverhör: Die Gruppe stellt Fragen, um ein Anliegen zu erkunden, oder hinterfragt eine Strategie kritisch, um sie zu prüfen und zu verbessern.
- Umdeutung (Reframing): Negative Sichtweisen werden bewusst in positive umformuliert, um neue Handlungsspielräume zu schaffen.
- Rollenspiele und Skulpturen: Durch das Darstellen von Situationen oder Beziehungen im Raum können Teilnehmende ihre Anliegen aus neuen Perspektiven betrachten.
- Reflecting Team: Ein Teil der Gruppe beobachtet ein Gespräch und reflektiert anschließend, um der vortragenden Person neue Ideen und Impulse zu geben.
- Erfolgsmeldungen: Statt sich nur auf Probleme zu fokussieren, werden auch Erfolge geteilt, um daraus zu lernen und positive Ressourcen sichtbar zu machen.
Diese Methoden fördern nicht nur die Reflexion, sondern auch den Austausch und die Kreativität in der Gruppe. Sie helfen, den Fokus von Problemen hin zu Lösungen und Möglichkeiten zu lenken.

Vorteile der ressourcenorientierten Supervision
Die Nutzung der Ressourcen der Gruppe in der systemischen Supervision bringt zahlreiche Vorteile:
- Vielfalt an Perspektiven: Unterschiedliche Sichtweisen bereichern die Reflexion und eröffnen neue Lösungswege.
- Kreativität und Innovation: Durch kreative Methoden wie Spekulieren oder Rollenspiele entstehen innovative Ideen.
- Stärkung der Gruppe: Der gemeinsame Austausch fördert Vertrauen und Zusammenhalt.
- Autonomie der Teilnehmenden: Die Entscheidung über die Umsetzung von Ideen bleibt bei der vortragenden Person, was ihre Eigenverantwortung unterstützt.
- Lernen aus Erfolgen: Die Betonung von Erfolgsmeldungen zeigt, dass Supervision nicht nur Problemorientierung bedeutet, sondern auch positive Erfahrungen einbezieht.
Praktische Tipps für die Umsetzung in der Supervision
Um die Ressourcen der Gruppe effektiv zu nutzen, sind einige Grundsätze hilfreich:
- Fokus auf Möglichkeiten statt Ursachen: Statt „Warum ist das so?“ sollte die Frage lauten: „Wohin wollen wir?“ oder „Was könnte anders sein?“
- Quantität vor Qualität: Es geht darum, viele Ideen zu sammeln, auch scheinbar absurde, da diese oft zu neuen Ansätzen führen.
- Zeitmanagement: Anliegen sollten zeitlich begrenzt bearbeitet werden, um den Druck zu reduzieren, sofort eine Lösung finden zu müssen.
- Humor und Leichtigkeit: Eine entspannte Atmosphäre, in der auch gelacht werden darf, fördert Kreativität und Motivation.
Fazit: Die Kraft der Gruppe entfalten
Ressourcenorientierte systemische Supervision nutzt die Stärke der Gruppe, um berufliche Herausforderungen zu meistern und neue Perspektiven zu entwickeln. Indem die Teilnehmenden aktiv einbezogen werden, entsteht ein dynamischer Prozess, der Kreativität, Vertrauen und Lösungsorientierung fördert. Ob durch Hypothesenbildung, Rollenspiele oder Erfolgsmeldungen – die Methoden der systemischen Supervision bieten vielfältige Wege, um den Möglichkeitssinn zu stärken und alternative Wirklichkeiten zu konstruieren. So wird Supervision nicht nur zu einem Ort der Reflexion, sondern auch zu einer Quelle der Inspiration.
Quellen:
Johannes Herwig-Lempp: Die Ressourcen der Teilnehmer nutzen – Handwerkszeug für die systemische Supervision in der Gruppe, erschienen in Familiendynamik 3/1997, S. 264-289.